17.12.2008 / Schwerpunkt / Seite 3

Apostel einer linken Bürgerrechtspartei

Von Fabio de Masi
 
Am 4. November veröffentlichten mehrere Mitglieder des »Forums demokratischer Sozialismus« (FDS) in der Linkspartei einen Aufruf unter dem Titel »Es könnte so vieles besser sein – auch in der EU«. Unterzeichner waren u. a. Katja Kipping und Halina Wawzyniak, beide Stellvertreterinnen der Parteivorsitzenden, Caren Lay, Mitglied des Parteivorstandes, und der FDS-Sprecher Stefan Liebich. Am 19. November folgte eine Stellungnahme der Autorinnen und Autoren zum Entwurf der Linkspartei für ein Europawahlprogramm 2009, das auf einem Parteitag am 28. Februar 2009 in Essen verabschiedet werden soll. Wir dokumentieren dazu leicht gekürzt einen Kommentar von Fabio de Masi, ehemaliger Bundessprecher des Jugendverbandes ’solid und Mitglied des Arbeitskreises Europäische Integration der Linken. Die FDS-Texte sind im Internet zu finden unter: www.forum-ds.de und www.wawzyniak.de

Caren Lay, Stefan Liebich und Halina Wawzyniak vom Forum Demokratischer Sozialismus haben endlich konkrete Vorschläge zum Europawahlprogramm 2009 unterbreitet. Ihr Aufruf »Es könnte so vieles besser sein – auch in der EU« sah lediglich ein abstraktes Bekenntnis zur Europäischen Union vor und provozierte daher die Kritik zahlreicher europapolitischer Akteure. Diese Kritik war ein Fehler: Die Anträge beschädigen die europapolitische Substanz der Linken mehr als die ursprüngliche Drohung ihres Aufrufs. Lay, Liebich und Wawzyniak vergleichen die Bedeutung der Europawahlen 2009 mit den Volksabstimmungen über die Verfassungsentwürfe in Frankreich, den Niederlanden und Irland. (...)

Demokratische Sozialist/innen verschweigen, daß das Europäische Parlament trotz erweiterter Mitentscheidungsbefugnisse kein Recht auf Gesetzesinitiative kennt. Sie meinen die Wahl eines kastrierten Parlaments sei eine Volksabstimmung. Damit entsorgen sie auch eine zentrale Kritik der europäischen Linken am Vertrag von Lissabon.

Die Bereitschaft Oskar Lafontaines, eine neue Linke in Deutschland zu begründen, hatte im französischen »Non« zur EU-Verfassung ihren Ursprung. In Frankreich bezieht sich eine neue Partei, die »Parti de Gauche«, auf diese Sternstunde der europäischen Demokratie. Der Vertrag von Lissabon, die globale Wirtschafts- und Finanzkrise und die EU als Kriegspartei sind siamesische Zwillinge. Der freie Kapitalverkehr hat Gesetzescharakter. Doch die drei Autoren möchten Wahlkampf mit Sätzen wie diesen führen: »Der Vertrag von Lissabon war aus Sicht der Linken in all seiner Ambivalenz im Rahmen einer Gesamtabwägung wie zuvor der EU-Verfassungsvertrag für einen (solchen) Politikwechsel nicht geeignet, …«.

Aber Lay, Liebich und Wawzyniak unterlaufen auch schwere handwerkliche Fehler. So wollen sie ins Wahlprogramm schreiben: »Auch wenn in Artikel 3 des Lissabon-Vertrages die ›soziale Marktwirtschaft‹ mit Verfassungsrang festgeschrieben wurde, hat dies nicht zu einer anderen Politik geführt – wohl auch deshalb, weil Artikel 119 zuviel Interpretationsspielräume ließ.« Vielleicht sollten wir zukünftig parallel zu Wahlprogrammen juristische Handbücher verteilen. Dann würde auch schnell deutlich, daß Artikel 3 nicht die soziale Marktwirtschaft in Verfassungsrang hebt und Artikel 119 keine Interpretationsspielräume zuläßt. Denn der Vertrag spricht in Artikel 3 von einer im hohen Maße »wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft«. Er regelt in Artikel 119 den absoluten Vorrang des »Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« und den international unüblichen Vorrang der Preisstabilität vor Wachstum und Beschäftigung.

Das ist »Monetarismus per Gesetz«. Stabile Preise werden nicht durch produktivitätsorientierte Lohnabschlüsse und eine europäische Kartellbehörde, sondern durch Arbeitslosigkeit, garantiert. (...)

Soziale Marktwirtschaft (...) ist im Unterschied zur wirtschaftspolitisch neutralen Sozialstaatlichkeit und der im Vertrag verankerten Rechtsstaatlichkeit ein völlig unbestimmter Rechtsbegriff. Nicht umsonst benennt sich eine neoliberale Initiative danach, und haben weniger exportorientierte Länder wie Frankreich eine solche vertragliche Definition bereits bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgelehnt. Eine aktive Wirtschaftspolitik mit den klassischen Instrumenten von Geldpolitik und öffentlichen Investitionen war in diesem Konzept nie vorgesehen. Soziale Marktwirtschaft unter Vorbehalt der Wettbewerbsfähigkeit zu stellen ist aber so, wie als würde man den Rechtsstaat in den Grenzen des Antiterrorkampfes garantieren.

Natürlich darf auch der Verweis auf die Grundrechtecharta nicht fehlen: »Es gab durchaus auch Begrüßenswertes im Vertrag von Lissabon, so die Erweiterung der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments, die Erklärung der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta und die Möglichkeit für EU-weite Bürgerinitiativen.« Die Grundrechtecharta ist eine feine Sache. Leider vergessen die Apostel einer linken Bürgerrechtspartei aber, daß der harte Kern der Grundrechtecharta mit der durch alle EU- Mitgliedsstaaten ratifizierten Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bereits seit Jahrzehnten rechtsverbindlich ist. Die Charta kennt zudem keinen individuellen Klageweg. Erneut ignorieren sie die Unteilbarkeit politischer und sozialer Freiheiten: So lautet die Schlußbestimmung der Charta in Artikel 52 (2): »Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Gemeinschaftsverträgen oder im Vertrag über die Europäische Union begründet sind, erfolgt im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen und Grenzen.«

Dies sah auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinen Urteilen Viking, Laval und Rüffert so: Streikende finnische und schwedische Gewerkschaften wollten erreichen, daß estnische und lettische Arbeiter in Finnland und Schweden auch finnische und schwedische Löhne erhalten, nicht umgekehrt. Der EuGH wertete das politische Grundrecht des Streiks und die Tarifautonomie als Beeinträchtigung der EG-Binnenmarktfreiheiten. Eine Einschränkung dieser Freiheiten zu Gunsten entsandter Arbeitnehmer/innen sei höchstens durch allgemeinverbindliche Tarifverträge oder gesetzliche Mindestlöhne möglich. Mit anderen Worten: Mindestlöhne sind jetzt Höchstlöhne des Binnenmarktes.

Wer aber glaubt, mit dieser Lyrik lassen sich die Europawahlen 2009 nicht verlieren, folge dem Beispiel der drei und schreibe zur Wirtschafts- und Finanzkrise keinen einzigen Satz!

Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/12-17/052.php