Nein zu einem EU-"Gedenktag" der Kriminalisierung des Kommunismus

Eindringlicher Appell aus Paris

Am 23. September 2008 faßte das Europäische Parlament den schamlosen Beschluß, den 23. August jeden Jahres zum "Gedenktag an die Opfer des Stalinismus und des Nazismus" zu erklären. Da die französischen Kommunisten die entschiedensten Bekämpfer des Faschismus vor und während der Besatzung waren, ist das eine unerhörte Beleidigung für sie. Durch diesen Beschluß wird die Geschichte verhöhnt.

Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal hat die Untaten der Diktaturen Hitlers und Mussolinis verurteilt. Die Verfasser des erwähnten Textes sind nicht an historischer Genauigkeit interessiert. Sie wollen lediglich ihren antikommunistischen Feldzug ausweiten. Dazu benutzen sie den Vorwand des Nichtangriffspaktes, der am 23. August 1939 unterzeichnet wurde. So wird eine gemeinsame Zielsetzung des Dritten Reichs und der UdSSR unterstellt. Versucht wird auch, die Verantwortung der Regierungen Frankreichs und Großbritanniens, die das Münchner Abkommen unterzeichneten, zu verschleiern. Diese Herrschaften gaben Hitler im August 1939 den Weg frei.

Abgeordnete eines bunten Halbkreises von Sozialisten bis zu Rechtsradikalen haben den Beschluß unterstützt. Sie sind damit in die Fußstapfen der Münchner getreten, die es Hitler ermöglichten, die Spanische Republik zu ersticken und Österreich wie auch die Tschechoslowakei zu annektieren. Damals haben sowohl Daladier als auch Chamberlain den Abschluß eines Beistandspakts mit der UdSSR abgelehnt. In endlosen Verhandlungen, die sich bis zum 24. August 1939 hinzogen, haben Paris und London die Weigerung Polens, den Sowjettruppen im Falle eines deutschen Überfalls den Einmarsch in ihr Territorium zu gestatten, gutgeheißen. Später gaben sie zu, in jener Zeit keine militärischen Vorbereitungen getroffen zu haben, um die nazistische Aggression zu bekämpfen.

Der deutsche Angriff auf Polen war schon seit dem 11. April geplant. Er sollte spätestens am 1. September erfolgen.

Warschau hatte sich an der Zerstückelung der Tschechoslowakei beteiligt. In der Folgezeit wurde dieses Land absichtlich geopfert. 23 deutsche und 115 anglo-französische Divisionen standen Gewehr bei Fuß. Die Hitlergenerale Keitel und Jodl erklärten später in Nürnberg, sie seien seinerzeit zu der Überzeugung gelangt, daß Frankreich und Großbritannien keinen Krieg gegen sie führen würden. Am 17. September flüchtete die polnische Regierung nach Rumänien. Daladier und Chamberlain verhielten sich genauso wie in München. Die sowjetische Führung hatte dies richtig erahnt.

Militärisch war die UdSSR im August 1939 mit der Abwehr eines japanischen Angriffs auf die Mongolei bei Chalchin Gol gebunden. Moskau war isoliert und sah sich der Gefahr gegenüber, in den Krieg einbezogen zu werden. Als "Alternative" drohte das Auftauchen der faschistischen Wehrmacht - nach einer raschen Durchquerung Polens - an der sowjetischen Grenze, nur 250 km von Kiew entfernt. Deshalb sah Moskau keine andere Möglichkeit, als den von Berlin angebotenen Nichtangriffspakt zu akzeptieren. Das hat den Schlag gegen die Sowjetunion um zwei Jahre verzögert und eine Basis für die künftige Antihitlerkoalition geschaffen, die 1941/42 zustande kam.

Die französischen Abgeordneten des Europaparlaments, die 2008 den erwähnten infamen Beschluß mitgefaßt haben, reihten sich damit in das antikommunistische Heer der Daladiers und Raynauds ein, das am 10. Juli 1940 den eidbrüchigen Marschall Petain an die Macht brachte. Das Regime der Kollaborateure von Vichy war damals die Endstation. "Lieber Hitler als die Volksfront" lautete in jenen Tagen die Parole. Wen wollen Sie denn davon überzeugen, daß Ihr Vorhaben auch der Verurteilung des Faschismus dient? Etliche rechtsradikale oder offen faschistische Abgeordnete aus Italien, dem Baltikum und von anderswo haben 2008 den Vorschlag der Einführung eines "Gedenktages für die Opfer des Stalinismus und des Nazismus" mit unterzeichnet und dann für ihn gestimmt. Stört es Sie nicht, daß der "Liberale" Göran Lindblad einen Kranz am Fuße des Denkmals für die lettische SS niedergelegt hat, deren Verbrechen den Untaten von Tulle und Oradour sur Glane gleichkommen? Wie beurteilen Sie die gemeinsame Stellungnahme mit Allesandra Mussolini? Die Enkelin des Duce fordert die Verurteilung und das Verbot der kommunistischen Parteien!

Auf eine Beantwortung dieser Fragen werden wir wohl lange warten müssen.

Unsere bisherigen Europaabgeordneten verlangten, das französische Parlament solle ihrem Beispiel folgen. Doch niemand zwingt es dazu. Unsere Nationalversammlung soll das Vermächtnis der Résistance ehren! Die Kommunisten haben damals einen glorreichen, von General de Gaulle gelobten Beitrag geleistet. Das Andenken der französischen Widerstandskämpfer muß energisch verteidigt werden. Unter ihnen befanden sich Zehntausende Kommunisten, die gefoltert und erschossen wurden. Alle Verbände und Organisationen sind betroffen, die im Geiste der Prinzipien des Nationalrats des Widerstands (C.N.R.) handelten. Die am 27. Mai 1943 erfolgte Schaffung dieses Rates sicherte dem kämpfenden Frankreich seine Legitimität.

Schande all jenen, welche dieses Frankreich verleumden! Schande allen, die die Verbrecher als Helden bezeichnen! Sie setzen die Aggressoren mit ihren Opfern gleich: Befreiung mit Besatzung, Kommunisten mit eben jenen Nazis, von denen sie erschossen wurden.

Ewiger Ruhm den Französinnen und Franzosen, die im Kampf oder im Zuchthaus ihr Leben opferten, wobei sie dem Beispiel des Kommunisten Gabriel Péri, des Sozialisten Pierre Brossolette und Hunderttausender anderer Patrioten folgten, die für ihr Vaterland und die Freiheit gestorben sind!

Abgeordnete beider Kammern des französischen Parlaments! Sie werden angesprochen, sind Sie doch als Vertreter der Volkssouveränität gewählt worden. Diesen Vorschlag, einen "Gedenktag" am 23. August einzuführen, müssen Sie zurückweisen, weil er für Frankreich schändlich ist. Um den Kampf der Märtyrer fortzusetzen, gilt es, sich wie in Zeiten des C.N.R. zu einem neuen Widerstandskampf zu verbünden.

Übermittelt von Pierre Pranchère, Paris
Bearbeitung: RF

Quelle: ROTFUCHS/092: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 138 - Juli 2009