EIN NEUER MITTLERER OSTEN
 
Das Doha-Abkommen für den Libanon setzt den US-Machtambitionen Grenzen

 
Von Rami G. Khouri
 
Das Abkommen von Doha zur Lösung der politischen Krise im Libanon ist das
jüngste Beispiel für das Entstehen eines Machtgleichgewichts, das den
Mittleren Osten neu definiert. Es spiegelt sowohl lokale wie globale Kräfte,
und es läßt 18 Jahre nach dem Kalten Krieg ahnen, wie die Welt
wahrscheinlich aussehen wird, zumindest im Mittleren Osten.
 
Verschiedenartige dynamische Prozesse scheinen im Spiel, aber überragende
Bedeutung hat die eindeutige Begrenzung der Machtprojektion der USA im
Wechselspiel mit der Selbstbehauptung vielfältiger regionaler Mächte - der
Türkei, Israels, Irans, der Hisbollah, Syriens, der Hamas, Saudi-Arabiens
und anderer. Diese regionalen Akteure neigen eher dazu, Kampf und
Verhandlungen gleichzeitig aufzunehmen und bevorzugen letztlich Kompromisse
statt immerwährender Absolutheitsschlachten.
 
Das Doha-Abkommen für den Libanon war wesentlich mehr als einfach ein Sieg
für die von Iran unterstützte Hisbollah oder die von den USA
unterstützte »Allianz des 14. März«. Es war in der arabischen Welt das erste
konkrete Beispiel eines förmlichen politischen Abkommens, das von
innenpolitischen Gegnern mit dem Ziel der Machtteilung sowie gemeinsamer
nationaler Entscheidungen ausgehandelt wurde. Wobei sie ihre engen
strategischen Beziehungen mit ihren jeweiligen auswärtigen Unterstützern in
den USA, in Iran, Saudi-Arabien und Syrien aufrechterhielten. Das
libanesische Abkommen wird wahrscheinlich - anders als das fehlgeschlagene
Fatah-Hamas-Abkommen für eine Einheitsregierung - Erfolg haben, weil alle
Parteien wissen, daß sie, um friedlich zusammenzuleben, wechselseitige
Kompromisse machen müssen. Dieses Abkommen wurde im Feuer des
demographischen und politischen Realismus des Mittleren Ostens geschmiedet
und steht ganz im Gegensatz zu jenem wahnwitzigen Unbedingtheitsanspruch,
von dem die regionale Politik der USA und Israels oft angetrieben wird.
 
Die USA wurden nicht vollends besiegt, aber sie wurden mit dem Ergebnis
eines Gleichstands bekämpft. Die jüngsten Ereignisse waren in konkreter
politischer Form der Ausdruck der mächtigsten Kraft, die den Mittleren Osten
in den letzten Jahrzehnten bestimmt hat: der festen Entschlossenheit
einzelner Persönlichkeiten, politischer Bewegungen sowie einiger
Regierungen, den USA, Israel und ihren arabischen und anderen Verbündeten
offen entgegenzutreten, sie herauszufordern, Widerstand zu leisten und
manchmal gegen sie zu kämpfen. Seit 2004 haben die Vereinigten Staaten den
Libanon ausdrücklich, wiederholt und verbissen als den Schauplatz
ausersehen, wo die Hisbollah und andere von Iran und Syrien unterstützte
regionale islamistische Kräfte gestellt und geschlagen werden sollten. Nun
werden die USA in Gestalt ihrer libanesischen Verbündeten demnächst diesen
selben Kräften nicht als niedergeknüppelte, geschlagene Feinde, sondern als
Partner und Kollegen in der zu bildenden Regierung der nationalen Einheit am
Kabinettstisch begegnen. Wenn erst Vertreter der Hisbollah und Saad Hariri
sich umarmen, sollte Condoleezza Rice in ihrer Verwirrung aufpassen, nicht
von ihrem Sportrad zu fallen.
 
Die USA sind Langsamlerner im Mittleren Osten, wo das Gelände ihnen fremd
ist, die Körpersprache bizarr erscheint, die Macht des historischen
Gedächtnisses unverständlich und die Verhandlungsmethoden wie aus einer
anderen Welt. Aber die USA sind nicht dumm. Mit der Zeit lernen sie, daß,
wenn man einen Reifen wiederholt runderneuert, aber immer wieder einen
Platten hat, es vielleicht Zeit ist, einen neuen Reifen zu kaufen, wenn man
weiterkommen will. Nun, angesichts eines überall im Mittleren Osten
vorhandenen Gleichstands in der ideologischen Konfrontation zwischen
Israeli-Amerikanismus und arabischem Islamonationalismus, sollte man von den
Spielern erwarten, daß sie ihre Politik überdenken, wenn sie neue Erfolge
erzielen wollen.
 
Doch in diesen Tagen, in denen die Grenzen der US-amerikanischen Macht im
Mittleren Osten deutlich werden, ist dies noch nicht einmal der
bezeichnendste Vorgang. Der bemerkenswerteste Beweis dafür, daß die USA sich
selbst an den Rand gespielt haben, ist das Verhalten der israelischen
Regierung. In den letzten zwei Jahren hat Washington die Israelis hart
bedrängt, nicht mit Syrien zu verhandeln und keinen Kontakt zur Hamas
aufzubauen. Aber was hat Israel getan? Vernünftigerweise hat es über die
Türkei mit Syrien verhandelt und mit der Hamas unter Vermittlung Ägyptens
wegen eines Waffenstillstands Gespräche aufgenommen. Warte ab, Condi, es
kommt noch schlimmer.
 
Man nimmt es in Washington nicht so wichtig, wenn fast 500 Millionen Araber,
Iraner und Türken nicht auf die USA hören und aufsässig sind. Aber wenn
Israel - die einzige Demokratie im Mittleren Osten, Amerikas ewiger
Verbündeter und die Bastion des heldenhaften modernen Kampfes gegen
Faschismus, Totalitarismus, Nazismus, Kommunismus und Terrorismus - nicht
auf die Vereinigten Staaten hört, dann hat das Nachrichtenwert.

So erleben wir nun im Mittleren Osten einen seltenen Moment: Der Iran, die
Türkei, alle Araber, die Hisbollah, die Hamas und Israel, alle weisen ein
einziges - und nur ein einziges - gemeinsames Merkmal auf: Gewohnheitsmäßig
mißachten sie den Rat und die gelegentlichen Drohungen, die ihnen aus
Washington zuteil werden. Wie recht hatte doch Condoleezza Rice, als sie im
Sommer 2006 meinte, wir seien Zeugen der Geburtswehen eines neuen Mittleren
Ostens. Aber die neue regionale Konfiguration unterscheidet sich sehr von
dem, was sie im Sinn hatte und verwirklicht sehen wollte durch vielfache
Kriege im Irak, in Afghanistan, Palästina, Somalia und im Libanon sowie
durch Drohungen gegen Iran und Syrien. Die neuen Regeln des politischen
Spiels im Mittleren Osten werden jetzt von den Hauptakteuren im Mittleren
Osten selbst geschrieben, was man begrüßen sollte.
 
Rami G. Khouri ist Mitherausgeber der Beiruter Tageszeitung The Daily Star,
in der sein Artikel zuerst erschien.
 
Übersetzung aus dem Englischen: Klaus von Raussendorff
Quelle: http://www.jungewelt.de/2008/05-27/041.php